Liebe ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer,
in Ihrem Ehrenamt erleben Sie häufig schwierige Situationen. Sie müssen Entscheidungen treffen – etwa für andere Personen, oft Ihre nahen Angehörigen, die dazu nicht oder nicht mehr in der Lage sind.
In so einem Fall ist es gut, wenn eine Patientenverfügung vorliegt oder Sie den mutmaßlichen Willen Ihres Angehörigen kennen.
Was passiert aber, wenn eine solche Patientenverfügung zwar vorliegt, aber ein Gericht der Meinung ist, dass diese nicht genügt? Dass selbst Gerichte bei dieser schwierigen Abwägung irren können, lesen Sie in der Rubrik Rechtsprechung. Gut, dass wir ein mehrstufiges Rechtssystem haben, sodass bei derlei Irrtümern das höherrangige Gericht ein Machtwort sprechen kann.
Herzliche Grüße
Ihr Christoph Überschär
Aktuelle Rechtsprechung
Was geht vor: die Einwilligung der gesetzlichen Betreuungsperson in eine Zwangsbehandlung oder die Patientenverfügung?
Eine Patientenverfügung im Sinne von § 1827 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) steht der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme entgegen, wenn sie wirksam errichtet wurde, eine Regelung zu Zwangsbehandlungen enthält und auch in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll.
Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 05.02.2025, Az. XII ZB 547/24
Das ist passiert
Eine Frau, die an einer paranoiden Schizophrenie leidet, war seit 2021 mehrfach nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften geschützt untergebracht. Im September 2022 errichtete sie eine Patientenverfügung, in der es unter anderem heißt: „Weitere Verfügung zur allgemeinen Medikamentengabe auch ohne bevorstehenden Sterbeprozess: Aufgrund einer fraglich diagnostizierten Vorerkrankung (ohne standardisierte Erkennungsmerkmale) lehne ich grundsätzlich die Einnahme von Neuroleptika und Antidepressiva ab, außer im Fall von später diagnostiziertem Parkinson.“
Auf Antrag ihrer Betreuerin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 27.09.2024 auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens die Unterbringung der Betroffenen in der geschützten Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses oder einer sozialtherapeutischen Wohnstätte bis längstens zum 26.03.2025 und die Einwilligung der Betreuerin in eine ärztliche Zwangsmedikation bis längstens zum 07.11.2024 genehmigt.
Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen gegen die Unterbringung und gegen die ärztliche Zwangsmaßnahme zurückgewiesen. Hiergegen wendet sie sich mit der Rechtsbeschwerde.
Darum geht es
Es geht darum, festzustellen, ob die Einwilligung der Betreuerin in die Zwangsmedikation rechtens war und ob das Landgericht zu Recht über die Unterbringung entschieden hat.
Die Entscheidung
Die Rechtsbeschwerde der betroffenen Frau hatte Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung. Das Beschwerdegericht, also das Landgericht, muss erneut über die Sache entscheiden und dabei zusätzliche Gesichtspunkte berücksichtigen.
Nach § 1832 Abs. 1 Nr. 3 BGB kann der Betreuer in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur dann einwilligen, wenn diese dem nach § 1827 BGB zu beachtenden Willen des Betreuten entspricht.
Eine Patientenverfügung gemäß § 1827 Abs. 1 Satz 1 BGB steht deshalb der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme entgegen, wenn die Patientenverfügung wirksam errichtet wurde, eine Regelung zu Zwangsbehandlungen enthält und auch in der konkreten Behandlungssituation Geltung beansprucht.
Obwohl das Landgericht die Bedeutung einer Patientenverfügung für die Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme im Grundsatz erkannt hat, hat es die Bindungswirkung der Patientenverfügung mit einer unzureichenden Begründung verneint.
Das Landgericht argumentierte, dass die Patientenverfügung der Zwangsbehandlung nicht entgegenstünde. Da für den Zeitraum September 2022 ausgeschlossen werden könne, dass die Betroffene nicht geschäftsfähig gewesen sei, müsse die Patientenverfügung zwar als wirksam erachtet werden. Sie sei aber kein Ergebnis rationaler Überlegung, weil die Betroffene nicht in der Lage sei, die Frage der Behandlung rational abzuwägen. Zudem sei die Betroffene nicht krankheitseinsichtig, weshalb sie nicht erkennen könne, dass eine Heilung notwendig sei.
Gemäß § 1827 Abs. 1 Satz 1 BGB ist für die Wirksamkeit einer Patientenverfügung maßgeblich, ob der Betroffene zum Zeitpunkt ihrer Errichtung einwilligungsfähig ist, mithin über die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit verfügt. Auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen im Sinne des § 104 BGB kommt es damit nicht an. Das Beschwerdegericht hat das Vorliegen der Geschäftsfähigkeit geprüft und ist zum Ergebnis gelangt, deren Vorliegen – und damit auch das der Einsichtsfähigkeit – sei trotz der Erkrankung nicht auszuschließen.
Hierzu in unauflösbarem Widerspruch steht jedoch, dass das Beschwerdegericht die Patientenverfügung mit der Begründung für unbeachtlich hält, diese sei kein Ergebnis rationaler Überlegung. Denn damit geht es offensichtlich davon aus, dass es der Betroffenen im maßgeblichen Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung an der erforderlichen Einsichtsfähigkeit gefehlt hat.
Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis
Obwohl die Entscheidung noch weitere Aspekte enthält, konzentriert sich diese Besprechung in erster Linie auf das Spannungsverhältnis zwischen Patientenverfügung und der Einwilligung der Betreuerin in die ärztliche Zwangsmaßnahme. Das ist ein interessanter Punkt und es ist vorstellbar, dass Sie sich bei Ihrem Ehrenamt auch in diesem Spannungsfeld wiederfinden können.
Dann denken Sie im besten Fall an diese Entscheidung, die dem Willen der betreuten Person den Vorrang eingeräumt und für die Wirksamkeit der Patientenverfügung auf die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit abgestellt hat.
Quelle: Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 05.02.2025, Az. XII ZB 547/24
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Veranstaltungen
Stammtisch für Betreuerinnen und Betreuer
Treffen Sie sich mit anderen Betreuungspersonen und Bevollmächtigten sowie den Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern der Betreuungsvereine. Tauschen Sie sich in ungezwungener Atmosphäre aus und profitieren Sie für Ihre Arbeit von den Erfahrungen anderer.
Von anderen hören und lernen, Erlebtes teilen und eine gute Zeit gemeinsam verbringen – unser Stammtisch findet in der Regel an jedem ersten Donnerstag im Monat statt.
Termine: Donnerstag, 02.10., 06.11., 04.12.2025, 18:00 bis 20:00 Uhr
Ort: Achathotel Zum Schwan, Hauptstraße 25, 55743 Idar-Oberstein
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Vortrag: Immobilien vererben oder verschenken?
Referent: Dr. Dirk Harders Notar mit Amtssitz in Birkenfeld
Termin: Mittwoch, 08.10.2025, 18:00 Uhr
Ort: Sitzungssaal der Kreisverwaltung Birkenfeld, Schneewiesenstraße 25, 55765 Birkenfeld
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Vortrag: Diabetes – eine der häufigsten Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse
Referentin: Gülfen Kaplan, Gastroenterologin und Diabetologin Nahetalpraxis Kaplan & Storz
Termin: Mittwoch, 05.11.2025, 18:00 Uhr
Ort: Sitzungssaal der Kreisverwaltung Birkenfeld, Schneewiesenstraße 25, 55765 Birkenfeld
Bitte melden Sie sich zu allen Veranstaltungen telefonisch unter 06781 667421 oder per E-Mail unter betreuungsverein@awo-birkenfeld.de an.
Bundeskabinett beschließt Gesetzentwurf über den Zugang zur Schuldnerberatung
Viele Menschen haben finanzielle Schwierigkeiten. Da ist es gut, wenn es Unterstützungsangebote gibt, an die sie sich wenden können.
Bundesweit gibt es derzeit fast 1.400 Schuldnerberatungsstellen. Diese befinden sich in kommunaler Trägerschaft oder in der Trägerschaft gemeinnütziger Organisationen. Sie beraten Ratsuchende ganz überwiegend kostenlos.
Um diese Praxis nicht zu gefährden, sieht der Entwurf vor, dass Schuldnerberatung grundsätzlich kostenlos, höchstens jedoch gegen ein begrenztes Entgelt angeboten werden soll. Der Gesetzesvorschlag sieht außerdem vor, den Ländern die Entscheidung darüber zu überlassen, wie der Zugang zu Schuldnerberatung sichergestellt wird. Weiter enthält der Gesetzentwurf Anforderungen an Anbieter von Schuldnerberatung. So soll ihre Unabhängigkeit sichergestellt werden, um dem Schuldenregulierungsinteresse der Verbraucherinnen und Verbraucher gerecht zu werden und Interessenskonflikte zu vermeiden. Zudem soll eine jährliche Berichtspflicht über die Zahl der verfügbaren Einrichtungen für Schuldnerberatung eingeführt werden.
Die EU-Verbraucherkreditrichtlinie ist bis zum 20.11.2025 in nationales Recht umzusetzen und ab dem 20.11.2026 von den Mitgliedstaaten anzuwenden.
Quelle: Pressemitteilung des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz vom 03.09.2025
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Hätten Sie es gewusst?
Gibt es Aufgaben, die ich als ehrenamtliche Betreuerin oder als ehrenamtlicher Betreuer delegieren kann?
Ja, das ist möglich, allerdings in sehr engen Grenzen.
Delegierbar sind Zuarbeiten und Hilfstätigkeiten wie etwa Terminvereinbarung oder Schreibarbeiten. Das wird bei einer ehrenamtlichen Betreuung jedoch meist die betreuende Person selbst übernehmen.
Spezialisierte Einzelleistungen dürfen und sollten bei mangelnder Fachkenntnis delegiert werden. Suchen Sie sich anwaltliche Hilfe, wenn es nötig ist, oder lassen Sie die Steuererklärung ihrer betreuten Person von einem Steuerberatungsbüro erledigen.
Die Kernaufgaben der Rechtsfürsorge im jeweiligen Betreuungsgebiet dürfen nicht delegiert werden. Die betreuende Person muss höchstpersönlich die Wünsche der betreuten Person ermitteln und beachten, Entscheidungen abwägen und treffen.
Sollte die betreuende Person verhindert sein, dann greift § 1817 Abs. 4 und 5 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ein, wonach ein Verhinderungs- oder Ergänzungsbetreuer bestellt werden kann.
„…
(4) Das Betreuungsgericht kann auch vorsorglich einen Verhinderungsbetreuer bestellen, der die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen hat, soweit der Betreuer aus tatsächlichen Gründen verhindert ist. Für diesen Fall kann auch ein anerkannter Betreuungsverein zum Verhinderungsbetreuer bestellt werden, ohne dass die Voraussetzungen des § 1818 Absatz 1 Satz 1 vorliegen.
(5) Soweit ein Betreuer aus rechtlichen Gründen gehindert ist, einzelne Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen, hat das Betreuungsgericht hierfür einen Ergänzungsbetreuer zu bestellen.“
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Über Lob freuen wir uns, Kritik nehmen wir ernst!
AWO-Betreuungsverein für den Kreis Birkenfeld e. V.
Hauptstraße 531–533
55743 Idar-Oberstein
betreuungsverein@awo-birkenfeld.de
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